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ÖSTERREICHISCHE BÜRGERINITIATIVE
c/o Gerhard Lichtenauer, Ing.   Tel: 0699 12490010   Fax: 07477 490015

Österreichische Bürgerinitiative „Daheim statt Heim“ · Text: Lichtenauer Gerhard, Ing. · erstellt am: 21. Juni 2007

Der Kampf um das „normale“ Leben – Befürsorgung im Wandel?

Bürgerinitiative "Daheim statt Heim": Einkommens- und Vermögensbezug bei Zuschüssen zur Betreuung zuhause widersprechen dem Teilhabegedanken.

Abgesehen, davon, dass die angebliche "Förderung" einer vorgeblich bis zu "24-Stunden-Betreuung zu Hause" bei weitem nicht das ist, was sie zu sein vorgibt und schon gar kein "Meilenstein" oder "Durchbruch" in der Pflegefrage, nimmt die Bürgerinitiative "Daheim statt Heim" zum Aspekt des Einkommens- und Vermögensbezuges, insbesondere der Vermögensobergrenze von 5.000 Euro wie folgt Stellung:

Unsachlich
Wesentliche Unterschiede zwischen daheim und „Heim“ sind nicht berücksichtigt. Zum Unter­schied einer "Unterbringung" in einem so genannten "Heim", bleiben beim Leben im wirklichen "Daheim" viele Aspekte eines menschenwürdigen Lebens mit seinen Entfaltungsmöglichkeiten erhalten: Soziale Inklusion auf der Grundlage individueller Autonomie und freier Lebensgestaltung sowie das Zusammenleben in den natürlichen, lebenslang gewachsenen Beziehungen und Gemeinschaften im persönlichen Mikrokosmos des sozialen Umfeldes (Familie, Verwandtschaft, Freundeskreis, Nachbarschaft, Vereine, Gemeinde, Ortsgemeinde und  Religionsgemeinschaft etc.).
Mit der Betonung dieser Unterschiede, und dem daraus nötigen Umsteuerungsbedarf, welchen sich die Bürgerinitiative "Daheim statt Heim" seit ihrem Start am 1. Juni zum Ziel gesetzt hat, geht es nicht um Schlechtreden oder gar "Dämonisierung" von "Heimen", wie Sozialminister Dr. Buchinger in der ORF- Sendung "Im Zentrum" am 17.6. in einem Nebensatz die Kritik an "Heimen" bezeichnete. Es geht darum, klarzustellen, was Sache ist, was "Heime" können und was sie nicht können, was sie sind und was sie nicht sind.
Eine umfassende Inklusion und Beachtung von Menschenrechten für behinderte Menschen lassen sich mit dem Auslaufmodell "Heim" nicht realisieren.
Mit den nun vorliegenden Förderrichtlinien für die 24-Stunden-Betreuung wird kein Fortschritt erzielt, sondern werden weitere Mauern der Fremdbestimmung aufgebaut.
Die seit einem halben Jahr vorliegende UN- Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sollte nicht nur auf dem Papier unterschrieben werden, sondern im Praxisbezug aller Gesetze und verwaltungstechnischen Regelungen umgesetzt werden.

Entsozialisierend
Die Grundlagen der österreichischen "Sozialhilfe" sind nicht konzipiert für einen langfristigen Unterstützungsbedarf von Menschen mit Hilfebedarf. Obwohl die Sozialhilfegesetze in den Einleitungsparagraphen teilweise tollste Formulierungen beinhalten, in der Realität bleibt es beim Prinzip der "Notstandshilfe" und Ökonomisierung auf niedrigstem Niveau.
Diese Ansätze sind nicht zeitgemäß für ein modernes Hilfesystem. Die Aspekte einer gleichberech­tigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und eines Nachteilsausgleiches für die Betroffenen und Mit-Betroffenen sind in der Praxis nicht vorhanden.
Die Einführung von Obergrenzen bei den wirtschaftlichen Existenzgrundlagen drängen die Menschen in die Armut und völlige Abhängigkeit. Sie berauben den Menschen seiner Autonomie und Individualität, somit auch seiner Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, wie es zu Zeiten seiner Nichtbetroffenheit meist über Jahrzehnte entwickelt und aufgebaut wurde und es seiner individuellen Normalität entspricht.

Gegen die Menschenwürde
Die Verfügungsgewalt über Einkommen, Vermögen und Reserven gehören unverzichtbar zu den Freiheitsrechten und der Würde eines Menschen. Es muss z.B. das Mobilitätsbedürfnis aufrecht erhalten bleiben (auch mal eine Autoreparatur bzw- Neuanschaffung möglich bleiben) und die Instandhaltung des Eigenheimes für sich und ggf. für die Angehörigen (z.B. Dachreparatur, Fenster- oder Heizkesseltausch, sowie das Aufkommen für einen versicherungsmäßig ungedeckten Großschaden  usw.) möglich bleiben.
Es wäre auch unsozial, die Möglichkeit von Urlaub und Reisen dem Betroffenen und seinen Angehörigen zu nehmen. Hierfür Angespartes darf nicht angetastet werden. Es gibt durch die Behinderung und den Hilfebedarf bereits ohnehin viele Nachteile, es dürfen nicht noch weitere Einschränkungen dazukommen.
Wenn Erbansprüche von Angehörigen, die durch Eintritt von altersbedingter Pflegebedürftigkeit des Partners oder eines Elternteiles auf einmal schwinden und sich sogar in Verschuldung und Armut umkehren sollten, kann das kaum jemand nachvollziehen. Dass dies so sein müsse, wird vielleicht mit persönlichem Schicksal und dem privaten Risiko argumentiert, einer solidarischen Gesellschaft entspricht es mitnichten, der Hinweis auf das Gesundheitssystem sollte als Erklärung genügen.
Wenn es nun um den Hilfebedarf von Menschen geht, die mitten im Leben stehen, über viele Jahr­zehnte mit krankheits- oder behinderungsbedingtem Unterstützungsbedarf leben und z.B. Familie haben, wird es vielleicht bewusster, worum es geht. Unterhaltspflichten wird nachgekommen, den Kindern vielleicht eine kostspielige, höhere Ausbildung ermöglicht und verschiedene Vorsorgen werden getroffen. Zudem gibt es noch weitere gesetzlich normierte Verpflichtungen, wie Aussteuer bzw. Heiratsgut bei Verehelichung unterhaltsberechtigter Angehöriger.
Die Verknüpfung persönlicher Existenzgrundlagen mit Förderungen und Transferleistungen im Zusammenhang mit Behinderung könnte man vom Benachteiligungsverbot aufgrund Behinderung in der Verfassung (Art.7) in Frage stellen. Auch andere Gleichstellungsgesetze verbieten sowohl mittelbare als auch unmittelbare Diskriminierung, sogar von Angehörigen Betroffener. Vermutlich sind Grundzüge von Antidiskriminierung noch kaum in die Sozialgesetzgebung der Länder vorgedrungen, wo man sich nicht nur damit begnügt, bei hoher Pflegebedürftigkeit der Existenzgrundlagen von  Betroffenen zu bedienen, sondern sich mittels Angehörigen- Regress am archaischen System der Sippenhaftung orientiert.
In der UN- Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung heißt es z.B. in Artikel 25, dass behinderten Menschen dasselbe Angebot, dieselbe Qualität und derselben Standard an kostenloser oder bezahlbarer Gesundheitsversorgung zur Verfügung zu stellen ist, wie anderen Menschen. Die höchst fragwürdige Unterteilung von Gesundheitsversorgung als solidarisch getragene Leistung und die Lasten von Langzeitpflege als „Privatvergnügen“, wie sie im österreichischen Regelwerk stattfindet, wird spätestens mit Ratifizierung dieses Übereinkommens nicht mehr zu halten sein.
Dass die Bundesregierung in koalitionärer Übereinstimmung, zum Auftakt von angeblich weitreichenden und zukunftsweisenden Pflegereformen eine Vermögens- und Einkommens­abhängigkeit von „Förderungen“ in diesem Bereich (als Kniefall vor den Ländern) einführt, ist mehr als bedenklich. Dass allen voran der Sozialminister, der erst vor etwa drei Monaten feierlich die UN- Konvention für Österreich unterschrieben hat,  dies vehement verteidigt, schmerzt sehr.

Ungerecht
Wenn die Angleichung der Förderungen zwischen stationären und privaten Betreuungsformen, wie sie mittlerweile von beiden Regierungsparteien als Ziel bekundet wird, annähernd ernst zu nehmen wäre, müssten auch umfassende Aspekte der "Hotelkosten" beider Formen ausreichend  Berück­sichtigung finden. Zum Unterschied vom Leben im Heim muss das Wohnbedürfnis und der Lebens­unterhalt mit allen Kosten, Risiken und Verpflichtungen bestritten und aufrecht erhalten werden.
Für das "Heim-Modell" gibt die Öffentlichkeit pro Betroffenen ein Vielfaches aus gegenüber dem menschlicheren und individuellerem "Daheim-Modell", welches sich 90 % der Bevölkerung wünscht. Eine demokratisch gewählte Regierung, welche dies ignoriert, missachtet den Handlungsauftrag des österreichischen Volkes, des Souveräns!
Für Betreuung- und Assistenz zu hause gibt es trotz Pflegepakets keine gerechte und angemessene Förderung, die Anliegen von behinderten und pflegebedürftigen Menschen werden ignoriert. Von einem bedarfsorientierten Beitrag, soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu "sichern" sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbst bestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben (zu Hause) zu führen, wie es der §1 des Pflegegeldgesetzes vorsieht, sind wir noch weit entfernt. Ein Betreuungs- bzw. Assistenzerfordernis im Ausmaß von vielen Stunden täglich bleibt zu Hause nur für ganz wenige Betroffene erschwinglich und wird durch das neue Pflegepaket nicht leistbarer sondern für alle (!) nur teurer.

Unnütz und realitätsfremd
Die Vertrauensseligkeit des Sozialministers in die Ehrlichkeit der Österreicher in Ehren aber in sol­chen existenziellen Notlagen und der somit viel bewusster wahrgenommenen Absicherungsbedürf­nisse, werden die meisten Menschen bei der Vermögenserklärung eher pragmatisch vorgehen und das eine oder andere Sparbuch oder Aktienpaket nach dem Prinzip der Nützlichkeit einfach im Stress "übersehen". Draufzahlen würden wieder einmal nur jene, welche eine unbedingte Ehrlich­keit über den eigenen Vorteil stellen.
Die angebliche "Lösung des Pflegenotstandes" (für die nächsten sechs Monate) oder die "Vernünf­tige Lösung im Sinne der Betroffenen", die "garantiert, dass Menschen in ihrer vertrauten Umge­bung alt werden können" wird aber ohnehin kaum jemand in Anspruch nehmen, weil es aufgrund der Amnestie nicht zwingend nötig ist und für die Betroffenen trotz Zuschuss nur teurer würde. Offensichtlich werden hier Mechanismen des "Positven Denkens" bemüht, welche sich in der Realität sehr schnell als Illusion herausstellen werden.

Inakzeptabel
Wenn seitens des Bundesbehinderten-Beirats für den Sozialminister am 19.6. "keine neue überzeugende Argumentation dargelegt wurde, die die bisherige Linie hätte erschüttern können", liegt es daran, dass die Einführung dieses Aspekts überfallsartig erst am Schluss aller Debatten aus dem Hut gezaubert wurde und kein Diskussionsprozess stattfand.
Die Mitverantwortung für diese unsoziale und unsachliche Fehlentscheidung trägt der Ministerrat, Bundeskanzler und Vizekanzler, die laut Aussagen des Sozialministers zugestimmt haben.
Weiß man jetzt schon - "Geld pflegt nicht" - so wird man auch noch zur Erkenntnis gelangen müssen, „schöne Worte pflegen auch nicht“! Wird sich Österreich für ein Hilfesystem im Wandel oder eine Befürsorgung in der Verkrustung überholter Konzepte entscheiden?

 

Österreichische Bürgerinitiative „Daheim statt Heim“
www.daheim-statt-heim.at

AUFRUF
für ein Leben behinderter und
älterer Menschen in der Gemeinde